Geschichte

Vom Werden und Wachsen Vortrag anlässlich des Jubiläums „20 Jahre Arbeitsgemeinschaft Biblische Figuren (ABF e.V.)“ in Stift Urach am 28.04.2018

Dr. Winfried Dalferth

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

dankbar können wir heute sagen: Die Arbeitsgemeinschaft Biblische Figuren blickt auf eine 20jährige Geschichte zurück. Es war eine Geschichte vom Werden und Wachsen. Nach 20 Jahren sieht manches anders aus, als in den Anfängen. Lassen Sie uns deshalb die Vereinsgeschichte und die verschiedenen Entwicklungsphasen der Biblischen Figuren in den Blick nehmen. Dabei wollen wir auch ein wenig über den Tellerrand hinausschauen.

Die Entstehung der biblischen Figuren

Schwester Anita Derungs (OP) entwickelte in den Sommerferien 1964 aus Haushaltsresten wie Draht, Pappe, Holz und Stoff die Urfiguren der Biblischen Figuren. Sie hat den alten Traum von beweglichen Krippenfiguren in der Weihnachtszeit wieder aufgegriffen und weiterentwickelt.

Damit stand sie in der Tradition von Konrad Lechner, dem Chorherr von Novacella, der schon 1937 ein Büchlein zu gekleideten und auch beweglichen Krippenfiguren hergestellt hat.[1] Auch Ruth Zechlin beschreibt bewegliche Krippenfiguren in ihrem unvergessenen Werkbuch für Mädchen.[2]

Die Figuren von Sr. Anita waren so realitätsnah, dass schon im Herbst 1964 die Figuren in Werkkursen im „Haus der Mütter“ auf dem Schwarzenberg bei Luzern hergestellt wurden. Der Schwarzenberg war das Tagungszentrum der katholischen Frauenarbeit in der Schweiz. Mit Feuereifer waren die Kursteilnehmerinnen dabei und entwickelten die Figuren technisch weiter.

Sie legten die Proportionen der Figuren fest. Der Verzicht auf ausmodellierte Gesichter wurde das typische Kennzeichen der biblischen Figur. So konnte ein und dieselbe Figur lachen und weinen, also Freude und Trauer zum Ausdruck bringen. Sie sprach gewissermaßen durch Körperhaltung und Gestik.

1975 kam es zu den Bleischuhen anstelle der bisherigen Papp- oder Holzschuhe. Kunstschmid Berchtold Frei, der Vater unseres heutigen Bleischuh-Lieferanten Christoph Frei hatte die Bleischuhe entwickelt.

1976 brachte Doris Egli ein verbessertes Gestell auf dem Markt, bei dem die Sisaldrähte für Beine und Arme mit einer Klammer zusammengehalten wurden. Die Idee der Bleischuhe hatte sie von Berchtold Frei übernommen.

Ihr Anliegen, die Biblischen Figuren als Egli-Figuren rechtlich schützen zu lassen, war juristisch nicht durchsetzbar. Es hatten zu viele Personen an der Figurenentwicklung mitgewirkt. So konnte Doris Egli nur ihren Namen schützen lassen. Deshalb sind die Figuren in manchen Regionen auch als Egli-Figuren bekannt. Bis heute enthält das Logo der Egli-Figuren-Arbeitskreise die Klammer als Mittelpunkt.

Die so in ihren Grundzügen entwickelte Figur wurde schnell heimisch in der kirchlichen Arbeit.[3]

So kamen die Figuren nach Deutschland

Bei einer Fahrt nach Taizé 1978 lernte die Pfarrfamilie Knoch aus Mägerkingen, einem Dorf auf der Schwäbischen Alb, die Familie Marty aus der Schweiz kennen. Ida Marty gab zu dieser Zeit bereits Kurse für Biblische Figuren in der Schweiz.

Im Jahr 1980 wurde das traditionsreiche Evangelisch-Theologische Seminar in Urach, ein altsprachliches Gymnasium, umgewandelt in das Einkehrhaus der württembergischen Landeskirche. Der erste Leiter in Stift Urach wurde Pfarrer Werner Knoch. Seine Frau organisierte schon im Folgejahr einen Figurenkurs unter der Leitung von Ida Marty. So kam es zum ersten Werkkurs in Deutschland im Oktober 1981 in Stift Urach.

Von Anfang an war Pfr. Knoch und Ida Marty klar, dass es bei den Kursen im Stift nicht nur um die Herstellung von Figuren gehen kann, sondern dass auch biblische Texte aus dem Alten und Neuen Testament zur Sprache gebracht werden sollten. In den Werkkursen sollte auch das Heilshandeln Gottes vermittelt werden. So kam es zu Vertiefungs- und Gestaltungswochenenden. Zwischen 1981 und 1994 hat Ida Marty insgesamt 32 Werk-, Leiter- und Gestaltungskurse durchgeführt.

Die erste Kursleiterinnenausbildung mit Ida Marty fand 1983 in Stift Urach statt. Dazu wurde erstmals Doris Egli eingeladen. Da sie an der Entwicklung der Figuren entscheidenden Anteil hatte, erhoffte man sich von ihr wertvolle Impulse. Der Leiterinnenkurs verlief letztlich methodisch unbefriedigend. Deshalb entwickelte Ida Marty selbst ein Kurskonzept für die Ausbildung von Kursleiterinnen.

Ida Marty und Doris Egli prägten in den Folgejahren die Kursleiterinnenausbildung.

Zu Problemen in Deutschland führte erst die mehrjährige Materialknappheit der Figurengestelle. Die Quelle der Figurengestelle war nicht bekannt. So wusste man nicht, wohin man sich zur Produktionssteigerung der Gestelle wenden sollte.

In dieser Zeit kam es im Dezember 1996 zu einer Muster-Belieferung mit Werkmaterial vom Schwarzenberg durch Kunstschmid Christoph Frei.

Mit der Erkenntnis, dass auf diesem Wege qualitativ genau so gute Figurengestelle erhältlich waren, bekam die Arbeit neuen Auftrieb.

Um diesem Aufschwung einen ordentlichen Rahmen zu geben, wurde die Arbeitsgemeinschaft Biblische Figuren ABF e.V. am 18.04.1998 in Stift Urach gegründet. Zu den Vorarbeiten der Vereinsgründung haben sich die drei Kursleiterinnen Gaby Lohner, Marie-Luise Pöpel und Silvia Dalferth zusammengetan. Sie konnten den Verein in vergleichsweise kurzer Zeit umsetzen. Der rege Zulauf der Kursleiterinnen zeigte, dass dies der Schritt in die richtige Richtung war.

Stabilisierung des Aufschwungs

Die Vereinsgründung trug zu einer stabilen kontinuierlichen Weiterentwicklung der Figurenarbeit nicht nur in Deutschland bei. Durch den rechtlich klaren Rahmen konnte das Werkmaterial bedarfsgerecht beschafft und neue Bezugsquellen erschlossen werden.

Die in der Schweiz entwickelten drei Figurengrößen der 30er, 50er und 70er Figuren wurden durch die ABF übernommen. Während die 30er Figuren in den Familien zur Geltung kamen, wurden die größeren 50er und 70er Figuren gerne in Schulen und Kirchen eingesetzt.

Die Kursleiterinnenausbildung regelte seit der Gründung die ABF selber. Dazu wurde eigens ein Ausbildungsprogramm entwickelt, in das bis heute ständig Verbesserungen eingearbeitet werden.

Die jährliche Mitgliederversammlung dient nicht nur der Regelung der Vereinsgeschäfte, sondern auch der Fortbildung der Kursleiterinnen.

Theologische und technische Weiterentwicklung

Über die Jahre wurde viel Energie in die Verbesserung der Figuren investiert.

  • Der Herstellungsort der Schnurfiguren ist bei der ABF bekannt: Bis zu acht behinderte Menschen haben einen Arbeitsplatz in der Herstellung der Sisaldrahtgestelle in der Stiftung Brändi in der AWB Horw in Kriens bei Luzern.
    Es ist schon beeindruckend, den Entstehungsprozess der Figuren und den Stolz der behinderten Menschen bei der Produktion wahrzunehmen.
  • Die Bleischuhe werden inzwischen mit einem Schutzüberzug geliefert, um die Kursleiterinnen im sensiblen Umgang mit Blei zu unterstützen.
  • Der bewegliche Daumen für die 30er-Figuren entstand 2007.
  • Als 2004 mit der Aufbauausbildung der 50er-Figuren begonnen wurde, erhielten sie von Anfang an die Hand mit beweglichen Fingern.
  • 2006 kamen die 70er-Figuren dazu, ebenfalls von Anfang an mit einer Hand aus beweglichen Fingern. Dies ermöglicht deutlich mehr Variationsreichtum in der Szenengestaltung. Musikinstrumente oder Schriftrollen können so viel besser „ergriffen“ werden.
    Die beweglichen Finger waren auch optisch ein Gewinn für die Figuren in dieser Größe.
  • Für Zeltkurse, Tierkurse und Kulissenkurse wurden Konzeptionen erarbeitet und umgesetzt.
  • Gestaltungskurse werden neu nachgefragt. Sie helfen, die Figuren angemessen in Szene zu setzen. Dabei lässt sich beobachten, wie die Kursleiterinnen sich gegenseitig zur Bereicherung werden, indem sie ihre Ideen austauschen.
  • Eigene Ideen der Kursleiterinnen können in der Gestaltung in großer Eigenverantwortung umgesetzt werden. Entsprechend vielseitig blüht die Figurenarbeit: Weihnachtskrippen, Ausstellungen, Osterwege, gestaltete Mitten zu Themen bei Tagungen u.v.m. gewinnen Gestalt mit Figuren.
  • Die Präsenz der ABF auf Messen, Kirchen- oder Katholikentage sowie Kindergottesdienst-Tagungen ist erfreulich, wenngleich zeitraubend und kostenintensiv. Ehrenamtliche Kapazitäten der Organisatorinnen kommen da schon an ihre Grenzen.
  • Viele leise Dienste werden auch nicht erfasst, wenn beispielsweise eine kranke Person von einer Kursleiterin einen Engel geschenkt bekommt. Hier entfalten die Figuren besonders ihren tiefen Sinn.
  • Die Einrichtung von Intranetseiten auf den ABF-Webseiten ermöglicht den Kursleiterinnen jederzeit Zugriff auf Werkmuster, Arbeitshilfen und Bezugsquellen. Dies erwies sich für die Kursarbeit als sehr förderlich.
  • Ausbildungsstandards sorgen für weitgehend gleichbleibende Qualität der Figuren, auch wenn individuelle Abweichungen hie und da zu beobachten sind.
  • Mehrere wissenschaftlich theologische oder religionspädagogische Arbeiten lagern im Archiv der ABF und dokumentieren, dass Figurenszenen in Verkündigung oder Unterricht wohl überlegt und reflektiert zum Einsatz kommen. Werden biblische Texte mit Figuren in Szene gesetzt, können sie zeitgleich mehrere menschliche Sinne erreichen.
  • Zeitgemäß gekleidete Figuren sind nicht verboten, sondern möglich, auch wenn zeitgemäße Szenen nicht Priorität in der Figurenarbeit haben. Zeit und Umwelt Jesu soll in den Blick genommen werden. Aber gerade das Jubiläumsjahr 500 Jahre Reformation 2017 zeigte mit seinen zahlreichen Ausstellungen, dass die Figuren auch sehr gut zur Veranschaulichung kirchengeschichtlicher Szenen mit Martin Luther oder auch Franz von Assisi dienen können.
  • Das nichtkommerzielle Interesse des Vereins ist dauerhaft erkennbar: Trotz zahlreicher Weiterentwicklungen wurde der Mitgliedsbeitrag nur einmal erhöht, und zwar in 2002 von 50 DM auf 40.- Euro. Damals wurde eine Geschäftsstelle eingerichtet und eine Sekretärin angestellt.
  • Ein Letztes sei angemerkt: Der Weg zur Darstellung dogmatischer oder abstrakter Themen ist ein weites Feld, das noch kaum beackert wurde. Es wäre schon eine Herausforderung, auch Themen wie „allein aus Gnade“ oder „die Trinität“ mit Figuren umzusetzen.

Weitere Figurenfamilien

Die Nachwirkungen der Vereinsgründung der ABF e.V. sind schon seit Jahren erkennbar: Sowohl in der Schweiz (https://www.vkbfs.ch/), wie auch in Österreich (http://www.biblische-figuren.at/) und in Frankreich im Elsass (http://afibi.fr/) gibt es Figurenfamilien oder Figurenvereine. Die Egli-Figuren sind in zwei Vereinen präsent: (http://egli-figuren-arbeitskreis.ch/) und (http://www.egli-figuren.de/).

Kursleiterinnen aus Korea, Island, Chile, Luxemburg, Italien, Frankreich, Österreich, Schweiz und Polen wurden von der ABF e.V. in Stift Urach ausgebildet. Sie haben den Figurenimpuls in ihre Heimat mitgenommen und tragen so zur Verbreitung der Figuren über Grenzen hinweg bei.

Risiken

Die Figuren sind aufwändig in der Herstellung, das ist bekannt. In der Regel benötigen zwei Figuren eineinhalb Tage zur Herstellung. Kommt noch Zubehör oder eine reichhaltige Ausstattung der Figur dazu, ist zusätzliche Herstellungszeit vonnöten.

Da Zeit heutzutage Mangelware ist, verändert sich sozusagen der Markt immer mehr. Fertige Figuren kommen zunehmend in den Handel.

Im Internethandel gibt es Figuren zwar schnell zu kaufen. allerdings in sehr unterschiedlicher handwerklicher Qualität.

Zudem werden ähnliche Erzählfiguren angeboten. Das sind zum Beispiel Bibel-Biegepuppen, deren Gesicht stets freundlich lächelt (außer in der Kreuzigungsszene), oder Herzfiguren, die ihre Emotionen mit Farbschiebern ausdrücken, und weitere.

Es ist schon eine Entscheidungsfrage, mit welchen Figuren gearbeitet werden soll.

Zukunft

Zukunft ist bekanntlich nicht vorhersehbar. Dennoch zeichnen sich einige Perspektiven für die biblischen Figuren ab:

  • Die breite Vernetzung, besonders in der religionspädagogischen Arbeit legt nahe, dass die Figuren Bestand haben werden, auch wenn die Kurse mit leicht zurückgehenden Teilnehmerzahlen klar kommen müssen.
  • Die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten und die Wandlungsfähigkeit der Figuren legen nahe, dass sich die Figurenarbeit den neuen Herausforderungen anpassen kann und wird.
  • Das Aufkommen weiterer Figurenfamilien oder Figurenzentren ist zu erwarten, da die Freude an den Figuren kaum nachlässt. Letzte Erfahrungen zeigen ein großes Interesse bei Lehrerinnen an einer Privatschule in Irbid in Jordanien.
  • Nicht ausgeschlossen ist, dass die Figuren auch im muslimischen Umfeld Verbreitung finden. Erste Anfragen signalisieren dies. Naheliegend wäre es, weil infolge des Bilderverbots im Islam Mohammed stets ohne Gesicht dargestellt wird. Dies passt zu den biblischen Figuren. Desweiteren wird im Koran auf viele biblische Geschichten angespielt. Auch dies legt nahe, dass die Figuren auch im muslimischen Kontext Verbreitung finden könnten.

Grund legend bleibt ihre Verwendung im biblischen Kontext. Wo die Figuren vergleichbar den Weihnachtskrippen bei ihrem ureigentlichen Thema bleiben, nämlich der Veranschaulichung biblischer Geschichten, haben sie noch eine große Zukunft, zur Mehrung der Ehre Gottes.

[1] Lechner, Konrad, Chorherr von Novacella: Geheimnisse aus der Krippenwerkstatt, Anleitung zum Selbstherstellen gekleideter Krippenfiguren, Bressanone, Druck und Verlag von A. Weger´s Buchhandlung, 1937.

[2] Zechlin, Ruth: Werkbuch für Mädchen, Otto Maier Verlag Ravensburg, 14. Auflage 1950, 31. Auflage 1969.

[3] Die ausführliche Entstehungsgeschichte findet sich in: Winfried Dalferth: Und er rührte sie an, mit biblischen Erzählfiguren Glauben gestalten, erfahren, feiern, Verlag Junge Gemeinde und Lahn Verlag, Leinfelden-Echterdingen, 2001.